Zeichnerische Fehler
Es hat ja jeder beim Zeichnen schon die Erfahrung gemacht, dass eine Zeichnung im Endergebnis bzw. bei der Nachbetrachtung nicht stimmig erscheint. Gerade bei anatomischen Zeichnungen ist dieser Effekt häufig anzutreffen, in dem Sinne, dass Proportionen nicht richtig getroffen sind, wie etwa falsche Abstände zwischen Augen, Nase und Mund, falscher Augenabstand, zu kleiner Kopf, zu kleine Hände oder Füße usw.
Ebenso können die Größenverhältnisse naher und ferner Figuren in perspektivischen Darstellungen unstimmig sein.
Interessanterweise haben aber auch "grosse Künstler", wie Dürer oder Brueghel offensichtlich mit solchen Problemen zu kämpfen gehabt. Diese Tatsache soll ihr Werk nicht schmälern oder kritisieren, sind diese Fehler doch häufig auf einem hohen Niveau angesiedelt.
In solchen "Fehlern" oder Abweichungen zeigt sich ja letztlich der künstlerische Prozess der Abstimmung des Beobachteten mit dem Dargestellten.
Hier ein paar Beispiele:

Unbekannter flämischer Meister des 15.JH
Bei der Betrachtung dieser Zeichnung hat mich immmer etwas gestört. Das Problem hier ist der, im Vergleich zum darunterliegenden Oberkörper, übergroße Kopf, so als sei der Kopf eines Erwachsenen auf den Körper eines etwa 12-jährigen Kindes gesetzt worden. Der Kopf hat hier nahezu das gleiche Volumen wie der Oberkörper. Nach den gängigen Faustregeln der Anatomie jedoch müsste die Breite des Brustkorbes (von vorne betrachtet) in etwa drei Kopfbreiten entsprechen.

Jan Gossaert Mabuse
Hier muss man genauer hinschauen, um das Problem zu entdecken. Die Hand des rechten Arms des Mannes greift einen Ast, nur ist die hier dargestellte Hand eine linke Hand. Im Folgenden die Vergrösserung der Hand, um den Fehler zu verdeutlichen (der Daumen müsste auf der rechten Seite sein). Zur richtigen Darstellung müsste man die Hand horizontal spiegeln.


Albrecht Dürer
Dies ist eine seiner frühen, vielleicht ersten zeichnerischen Versuche, er war zu der Zeit, meines Wissens, etwa 15 Jahre alt. Hier ist der Finger etwas zu groß geraten bzw. die Hand ist zu klein. Allerdings muss man berücksichtigen, dass bei Kindern, mit abnehmendem Alter sich die Proportionen zu Gunsten der Kopfgröße verschieben, d.h. der Kopf ist im Verhältnis zu den anderen Teilen des Körpers größer. Am stärksten ist dieses "Mißverhältnis" beim Säugling zu erkennen.

Pieter Brueghel
Das Problem sind hier die Figuren im Vordergrund, die wie Winzlinge oder Däumlinge wirken im Vergleich zu dem Gras und den Pflanzen auf der gleichen Ebene. Sie müssten bei korrekter perspektivischer Darstellung ganz wesentlich größer sein ... gerade auch gemessen an dem Reiter und dessen Begleitfigur in der rechten Bildmitte!
Allerdings könnte auch diese Gestaltung Absicht sein, denn perspektivisch korrekte Figuren im Vordergrund würden das Bild dominieren und die Bildaussage verändern. Den Fokus legte der Künstler hier wohl bewusst auf die Landschaft, nicht auf die Menschen, die nur belebendes Beiwerk der Szenerie sind.